Linda Stift: Stierhunger

Cover © Deuticke Verlag 

Das ist ja nun, mit Verlaub, wirklich eine abgefahrene, eine skurrile Geschichte. Sie mag für Österreicher und für Monarchisten in besonderer Weise amüsant sein, ist aber generell lesenswert und bleibt dem Rezensenten noch Jahre nach der Erstlektüre in bester Erinnerung.

Man muss wissen, dass die Damen und Herren des europäischen Hochadels zumindest früher unter Aliasnamen ins Ausland reisten, wenn sie dies privat taten und dem strengen höfischen Zeremoniell entgehen wollten. Kaiserin Elisabeth von Österreich – Si[s]si – benutzte hierzu den Titel einer Gräfin von Hohenembs. Auch, als sie 1898 nach Genf kam und dort auf ihren Mörder Luigi Lucheni traf. Sisi war in hohem Maß exzentrisch, asketisch und launisch und ähnelte sehr ihrem berühmten Cousin, König Ludwig II. von Bayern. Die erfolgreichen Filme der 1950er-Jahre zeichnen von ihr ein vollkommen falsches historisches Bild.

In dieser Geschichte, die im Wien der Gegenwart spielt, lernen wir die betagte, aber hochgewachsene, schlanke und körperlich sehr fitte Frau Hohenembs kennen: „Ihr Kleid berührte den Boden, nur die Spitzen ihrer Schuhe ragten hervor. Das Kleid war aus Wolle und schwarz, über den Schultern lag eine schwarze Spitzenmantilla, deren zipfelige Enden zwischen ihren Achseln stecken.“ Sie knabbert zuweilen ein wenig Gugelhupf und Topfengolatsche und hat mehr als genug Marotten, unter denen ihre geduldige Kammerzofe leidet, die füllige und immer hungrige Ungarin Ida.

Beide Frauen leben in einer großen Wiener Wohnung, die vollgestellt ist mit Mobiliar und Accessoires aus der k.u.k.-Zeit. Die Hohenembs lässt sich eng in ihre Kleider einnähen, quält ihre Begleiterinnen mit Gewaltmärschen in flottem Tempo und liebt alles Ungarische sowie die griechische Sprache. „In ihrem wohlklingenden Hofratsgattinnendeutsch, das leicht ins Bayrische spielte“, erzählt sie von ihren Seereisen und von ihrem Haus auf Korfu. – Es lächelt derjenige in sich hinein, der Sisis Vita genauer kennt. Sie ist wieder da, so könnte man in Anlehnung an einen erfolgreichen und auch verfilmten deutschen satirischen Roman formulieren.

Zwei reife Damen beim Bombenbasteln

Eines Tages nehmen die beiden Frauen die namenlose junge Erzählerin, die praktisch arbeitslos und ohne Anhang ist und ihre Mietwohnung verliert, in ihrem geräumigen Heim auf. Sie hat etwas gemeinsam mit der Hohenembs: eine massive Essstörung und den Wunsch, mager und nicht nur schlank zu sein. Zu diesem Zeitpunkt weiß sie bereits, womit sich die beiden reifen Damen beschäftigen: Sie klauen in Museen das eine oder andere Exponat aus der längst vergangenen k.u.k.-Ära (Dinge, die, so die Hohenembs, „ja ohnehin mir gehören“). Zum Beispiel eine Entenpresse.

Ein weiteres Ausstellungsstück, das gruselige Lucheni-Präparat, bringen die beiden Damen in Schwarz hingegen hinein in ein Museum. Und die beiden bauen eine Bombe! Denn das Standbild der Kaiserin Elisabeth im Wiener Volksgarten finden sie so extrem scheußlich, dass sie es mal eben mittels einer kleinen Sprengladung beseitigen. Auch die Kokainspritze, welche Sisi einst benutzte, bleibt als museales Exponat nur ganz kurz der Öffentlichkeit zugänglich.

Der Hohenembs kann man, hat sie einen erst einmal als Mitglied ihres sozialen Umfelds auserwählt, nicht mehr entkommen, so lernen wir. Es ist ein Märchen, eine Parabel über Macht und Machtausübung. Der Leser muss sich betrüblicherweise – was nun wahrlich vermeidbar wäre – allzu oft durch seitenlange Textpassagen ohne Absätze quälen. Wahre Bleiwüsten sind entstanden.

Ausführlich und krass sind die Schilderungen der bedrückenden Essstörung, unter der die Erzählerin mit ihrem ausgeklügelten „Kotzsystem“ leidet. Es gärt in ihrem Magen, „und ich fühlte mich wie ein uralter, klebriger Mülleimer, in dem die Abfälle verrotten. … Ich ertrug es nicht länger, dass in meinem Körper eine derartige Verwesung stattfand.“

Man darf annehmen, dass die Autorin selbst unter dieser Ess-Brechsucht leidet, die sie hier beschreibt und die man auch als „Stierhunger“ bezeichnet. Kaum betroffen davon ist Ida, die verfressene Dienerin, die, keineswegs eine Asketin wie die beiden anderen, ständig am Naschen ist, schon mal einen frechen Kommentar in Richtung ihrer Herrin abgibt – und ein frivoles Sexualleben genießt. Ida Ferenczy hieß übrigens eine enge Vertraute von Kaiserin Elisabeth.

Linda Stift: Stierhunger. Roman. 172 Seiten. Deuticke Verlag 2007.

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