Nickolas Butler: Shotgun Lovesongs

Freundschaft und Rivalität in Wisconsin

In Little Wing im amerikanischen Heartland treffen sich fünf Freunde aus alten Zeiten zu einer Hochzeit. Die Jahre haben sie nachhaltig verändert, und Ereignisse aus der Vergangenheit bleiben nicht länger verborgen.

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Cover © Klett Cotta Verlag

Der US-Autor Nickolas Butler führt die Leser von „Shotgun Lovesongs“ in einen kleinen, von der Landwirtschaft geprägten Ort in Wisconsin. Dorthin, wo sich Farmer täglich die Frage stellen, ob ihr Agrarbetrieb noch zum Überleben taugt, wo Bier für viele das Lebenselixier ist und das Leben nach seinem eigenen, einem ländlich-trägen Rhythmus verläuft.

Die Alltagsroutine wird durch die Hochzeit von Kip unterbrochen. Er hatte als erfolgreicher Börsenmakler gearbeitet, ehe er nach Little Wing zurückkehrte und eine stillgelegte Futtermühle zu seinem Domizil machte. Zum Kreis der alten Freunde Anfang dreißigzählt außerdem Ronny. Auch er lebt wieder im Ort, war aber einige Jahre lang ein professioneller Rodeoreiter. Dann wurde er zum Trinker und hatte im Alkoholrausch einen Unfall. Seitdem ist er behindert und die Karriere nur noch eine Erinnerung an bessere Zeiten.

Henry und Beth, verbandelt seit der High School, sind jetzt ein Ehepaar; sie haben Little Wing nie verlassen und betreiben eine Farm. Die beiden personifizieren die Heimatverbundenheit im ländlichen Amerika. Mit Kip und Ronny bilden sie die alte Clique, zu der noch ein Fünfter gehört. Allerdings machte Lee, dessen Anwesenheit zur Hochzeit angekündigt ist, Karriere auf einem ganz anderen Niveau.

Lee lebte stets für seine Musik, verließ den Ort und wurde zunehmend erfolgreich. Die Veröffentlichung des Albums „Shotgun Lovesongs“ machte Lee zum international gefeierten Superstar, zu einem Mann, der in einer anderen Welt lebt, unter den Schönen und Glamourösen, dort aber offensichtlich nicht glücklich ist. Natürlich sind alle gespannt, den Promi mal wieder in seiner Heimatstadt zu sehen.

Dann erscheint Lee, begleitet von der berühmten Schauspielerin Chloe. Doch sein vermeintlich tolles Dasein kann so schön nicht sein: „Mein Leben ist gut. Sehr gut“, sagt der Rockstar. „Aber manchmal bin ich auch einsam. Manchmal fehlen mir Leute, denen ich vertrauen kann. Leute, die nichts von mir wollen. […] Ich wünschte, ich hätte euer Leben. Wisst ihr, was ich meine?“

Dem behinderten Ronny widmet sich Lee in besonderer Weise, er nimmt sich des Kumpels an, mit dem es das Schicksal nicht gut meinte. Hier zeigt sich wahre Freundschaft in schwieriger Zeit. Lees Verhältnis zum Bräutigam Kip hingegen erfährt eine starke Belastung, denn Kip gibt der Presse einen Hinweis, dass der Rockstar seiner Trauung beiwohne, und als die Paparazzi die Feier arg stören und sogar aus Hubschraubern filmen, ist Lee fuchsteufelswild.

Die starke Anziehungskraft der Heimat

Im nächsten Abschnitt der Geschichte kündigt Lee, der nun in New York lebt, seine Hochzeit mit Chloe an und lädt die alten Freunde in den „Big Apple“ ein. Ronny erscheint unerwartet in Begleitung einer attraktiven jungen Dame namens Lucy, die sich als professionelles Stripgirl entpuppt. Die Hochzeit ist glamourös, viele VIPs feiern mit, doch die Ehe hält nur ein paar Monate. In aller Stille kehrt Lee, von Chloe frisch getrennt, zurück nach Little Wing, in seine Heimat:

„Ich fuhr durch Süd-Wisconsin, an Madison und Dells vorbei, immer weiter Richtung Norden. Die Espen erstrahlten in einem so hellen Gelb, dass man tatsächlich meinen konnte, sie gäben einen Ton von sich, wenn sie von einem Sonnenstrahl getroffen wurden, einen unendlich hohen Ton, der so rein und klar war, dass ich nur schwer die Augen offen halten konnte; es war wie der Klang eines göttlichen Schwerts, das durch die Luft schnitt.“

Der erfolgreiche und weitgereiste Lee wünscht sich nichts sehnlicher als die Rückkehr nach Wisconsin. „Hier ist mein Zuhause, Hier ist der Ort, der als Erstes an mich geglaubt hat. Der immer noch an mich glaubt. Dies ist der Ort, der die Lieder meines Albums hervorgebracht hat. […] Ich beneide Henry schon seit Jahren. Er ist mit einer wunderschönen Frau verheiratet und tut genau das, was er gerne tut. Dort draußen, unter der Sonne, mit allem um ihn herum verbunden.“

Immer stärker lebt Lee in Erinnerungen an die Vergangenheit. Vor allem in seinen Gedanken an eine gemeinsame Nacht mit Beth, die viele Jahre zurückliegt. Als er Henry davon erzählt und ihm zugleich seine Liebe zu Beth gesteht, kommt es zum Bruch zwischen den Kumpels. Das Gefüge der Jahrzehnte alten Freundschaft wird durch Enthüllungen erschüttert, wo die Männer doch eigentlich keine Geheimnisse voreinander haben wollten.

Eine Erzählung aus wechselnden Perspektiven

Am Ende muss eine Schusswunde versorgt werden, es werden Ehen scheitern und Ehen gekittet, und ausgerechnet Ronny, mit dem das Leben fies umging, findet in der Stripperin die Frau seines Lebens. Die Freundschaft zwischen Lee und Henry erweist sich schließlich stärker als die Schatten der Vergangenheit.

Nickolas Butler, der selbst in Wisconsin aufwuchs (und den Musiker Bon Iver als Realvorlage für seine Romanfigur Lee nennt), findet für sein lesenswertes Romandebüt eine angenehme, manchmal epische Sprache, und Dorothee Merkel hat auch dieses Buch elegant ins Deutsche übersetzt. In dem Roman wechselt die Perspektive des Ich-Erzählers ständig, woraus sich eine lebhafte Story ergibt und die Handlung aus unterschiedlichen Sichtweisen geschildert wird.

Die fünf detailliert charakterisierten Freunde leben zu einem guten Teil in ihren nostalgischen Erinnerungen, und das Buch enthält viele Rückblenden auf die frühere Zeit. Es geht um Freundschaft und Liebe, um Heimatverbundenheit und große Gefühle, um Streitigkeiten und Zerwürfnisse und letztlich um die Kernfrage, ob Beziehungen über Jahrzehnte und trotz wachsender Distanzen ganz unterschiedlicher Art fortbestehen können. Die Filmrechte für das Buch sind bereits verkauft.

Nickolas Butler: Shotgun Lovesongs. Roman. Aus dem Amerikanischen von Dorothee Merkel. 424 Seiten. Klett Cotta Verlag 2013. 

> http://www.shotgun-lovesongs.de/

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